Inhalt
Comic-Neuerscheinungen behandeln zunehmend Themen, die verschiedenste Disziplinen der Wissenschaften berühren. Nicht von ungefähr, denn Comics können „Bilder für das Unsichtbare“ liefern: Wie kann grafische Literatur innere Prozesse darstellen, wissenschaftliche Zusammenhänge erklären, Erinnerungslücken füllen und Uneindeutiges veranschaulichen? Wie verbinden sich bei ihrer Entstehung Aspekte der künstlerischen Arbeit und der Wissenschaften, um Unerklärtes sichtbar zu machen und neue Themen aufzuspüren? Wie kann Zeichnung sichtbar machen, wo Worte fehlen? Diesen Fragen geht das erstmals veranstaltete Symposium „Bilder für das Unsichtbare – Comic-Künstler:innen im Dialog mit den Wissenschaften“ nach.
Kuration: Barbara Yelin und Jutta Pilgram.
Das Symposium ist initiiert vom Netzwerk „Comic in Bayern“ (Projektträger: Illustratoren Organisation e.V.) und findet als öffentliche Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus München und mit Förderung des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst statt.
Programm
14 Uhr Begrüßung
Videogrußbotschaft Staatsminister Markus Blume
Dr. Elisabeth Donoughue, Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst
Jürgen Gawron, Vorsitzender Illustratoren Organisation
Jutta Pilgram, Barbara Yelin und Ulrike Buehrlen, Kuration/Organisation
14:30 Comics & Naturwissenschaft
Mit Sophia Martineck (u.a. „Hannah Arendt“), Lukas Jüliger („Unfollow“) & Alexandra Hamann (Mintwissen Verlag)
Moderation: Christine Knödler
Klimawandel, künstliche Intelligenz, Nanomedizin – Comics können komplizierte Themen illustrieren. Und sie können noch viel mehr. Wissenschaftliche Erkenntnisse gewinnen in der bildlichen Umsetzung an Anschaulichkeit, eingebettet in Narrative wirken sie motivierend und transparent. Geht es dabei um Vereinfachung oder um die Sichtbarmachung von Vielschichtigkeit? Sophia Martineck zeichnet Vermittlungscomics für Medizin und Forschung, Lukas Jüliger webt Themen wie Klimawandel und künstliche Intelligenz in Science-Fiction-Szenarien ein. Alexandra Hamann ist Herausgeberin von wissenschaftlichen Sachcomics. Gibt es Themen, die sich für bildliche Erzählformate besonders eignen? Wie weit darf sich der Comic von der Realität entfernen? Und welche spezifischen Eigenschaften hat die Zeichnung in ihrer künstlerischen Individualität?
16 Uhr Pause
16:30 Comics & Psychologie
Mit Anja Wicki („In Ordnung“), Markus Färber („Fürchtetal“) & Prof. Senta Connert (Akademie der Bildenden Künste München)
Moderation: Jakob Hoffmann
Die Psychologie als empirische Disziplin versucht, Phänomene des menschlichen Erlebens und Verhaltens zu beschreiben. Doch die individuelle Innenperspektive bleibt immer subjektiv, vielschichtig und schwer erfassbar. Für die Erzählung seelischer Zustände wie Trauer und Lebensmüdigkeit oder psychischer Erkrankungen wie Angststörungen und Depression können sequenzielle Bilder eine Möglichkeit zum Ausdruck des Inneren finden. Anja Wicki erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die mit einer unbenannten psychischen Krankheit lebt. Markus Färber hat Bilder zu den Worten seiner Schwester gesetzt, in einem Dialog über das Unbegreifliche, den Freitod des Vaters. Senta Connert ist Kunsttherapeutin und Professorin an der Akademie der Bildenden Künste München. Was kann die Zeichnung veranschaulichen, was anders schwer greifbar ist? Können Bilder eine Sprache sein für das Ungesagte?
18 Uhr Pause
18:30 Neue Impulse: Comics in der digitalen Anwendung
Mit Johannes Kretzschmar, Universität Jena
& Dr. Paul-Moritz Rabe, NS-Dokumentationszentrum München
18:30 Uhr
Johannes Kretzschmar, Universität Jena
Augmentierte Comics im Labor: In der Photonik-Forschung an der Universität Jena entstehen Experimentalaufbauten mit Augmented-Reality-Comics.
18:55 Uhr
Dr. Paul-Moritz Rabe, NS-Dokumentationszentrum München
Serious Games in der Erinnerungskultur: Im Auftrag des NS-Dokumentationszentrums München wird das Thema Zwangsarbeit als Visual Novel in einem Mobile Game vermittelt.
19:15 Uhr Pause
19:30 Uhr Comics & Geschichtswissenschaft
Mit Birgit Weyhe (u.a.„Rude Girl“), Reinhard Kleist (u.a.”Der Boxer”) & Dr. Véronique Sina (Goethe Universität Frankfurt)
Moderation: Niels Beintker (Bayerischer Rundfunk)
Zeitzeug*innen sind verstummt, Quellen wurden vernichtet, Dokumente zeigen nur die Täter*innenperspektive. In der Geschichtsschreibung gibt es unzählige Leerstellen. Manchmal können Comics diese Leerstellen aufspüren, durch bildliche Nachforschungen neue Zugänge schaffen und bisher Unsichtbares umranden. Die Zeichner*innen Birgit Weyhe und Reinhard Kleist arbeiten beide stark recherchebasiert. Birgit Weyhe erforscht in einem neuen Projekt das Schicksal von Elisabeth Käsemann und Ellen Marx während der argentinischen Militärdiktatur, Reinhard Kleist zeichnet Biografien wie etwa die Überlebensgeschichte des Boxers Hertzko Haft im Holocaust und das Leben der somalischen Sportlerin Samia Yusuf Omar, die bei ihrer Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrank. Véronique Sina forscht im Bereich der Gender Media Studies, Medienästhetik, Holocaust Studies und Jewish Cultural Studies. Kann grafische Literatur Erinnerungslücken füllen, wenn historische Zeugnisse fehlen? Spürt die zeichnerische Recherche durch ihre spezifische Form sogar neue Fragen auf? Und ist ein Grenzgang zur Fiktion dabei zulässig?
Personen

Foto © Dominik Wolf
Künstler*in
Markus Färber
*1981 im Frankenwald, studierte in Würzburg Kunstpädagogik und später in Kassel und Halle Visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Illustration. Sein erstes Buch „Reprobus” ist eine Adaption der Legende vom hundsköpfigen Riesen mit unbeschreiblichen Kräften (Rotopol, 2012). 2021 erschien „Fürchtetal“, eine stille Korrespondenz von Wort und Bild, entstanden nach dem plötzlichen Suizid des Vaters, gezeichnet von Markus Färber und geschrieben von seiner Schwester Christine Färber (Rotopol, 2021). Jede gefüllte Seite macht sichtbar, wofür oft Worte fehlen. Das Buch war nominiert für den Jugendliteraturpreis 2022.

Foto © privat
Künstler*in
Lukas Jüliger
*1988, studierte Illustration an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg und an der École nationale supérieure des arts décoratifs in Paris. 2013 debütierte er mit der enigmatischen Coming-of-Age-Erzählung „Vakuum“ (Reprodukt, 2012). 2018 erschien „Berenice“, eine Edgar-Allan-Poe-Adaption im modernen Gewand in der von Isabel Kreitz kuratierten Reihe „Die Unheimlichen“ im Carlsen-Verlag. Mit „Unfollow“ legte er seine bislang umfangreichste Arbeit vor, eine Geschichte über alternative Lebensentwürfe der Zukunft, die Klimakrise und Influencer-Kultur (Reprodukt, 2020). Jüligers Arbeiten wurden vielfach ausgezeichnet. Für sein kommendes Graphic Novel-Projekt, in dem er sich u.a. mit dem Thema KI auseinandersetzt, erhielt er 2021 ein Forschungsstipendium des Berliner Senats.

Foto © Carlsen und Wolf-Dieter Tabbert
Künstler*in
Reinhard Kleist
*1970 in Hürth, studierte Grafik und Design in Münster. Seit 1996 lebt er in Berlin. Kleist hat sich in vielfältiger Weise mit biografischen und historischen Themen auseinandergesetzt. Für seine international gefeierten Musikerbiografien “Cash – I see a darkness” (2008), “Nick Cave” (2017) und “Starman – The Ziggy Stardust Years” über David Bowie (2021, alle Carlsen) wurde er mit mehreren Preisen ausgezeichnet. Mit „Der Boxer" (Carlsen, 2012), einer gezeichneten Biografie des Hertzko Haft, der als polnisch-jüdischer Boxer in die Vernichtungsmaschinerie der Deutschen geriet und nach dem Krieg als Holocaust-Überlebender in Amerika neu begann, gewann er den Deutschen Jugendliteraturpreis. Für „Der Traum von Olympia" (Carlsen, 2016) über die somalische Sportlerin Samia Yusuf Omar, die bei ihrer Flucht nach Europa im Mittelmeer ertrank, erhielt er u. a. den Jahres-LUCHS 2015 und den Gustav-Heinemann Friedenspreis 2016. In „Knock Out!" setzt er sich zum zweiten Mal mit einem außergewöhnlichen Boxerleben auseinander. Soeben arbeitet er an der Fortsetzung der Biografie über David Bowie über Bowies Berlin-Jahre.

Foto © privat
Künstler*in
Sophia Martineck
*1981 in Naumburg, hat Visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Illustration an der UdK Berlin, am Hunter's College in New York City und an der Liverpool School of Art and Design studiert. Seit ihrem Abschluss 2007 arbeitet sie als Illustratorin für internationale Kunden und als Comic-Zeichnerin für Museen, Institutionen und Magazine. Zuletzt illustrierte sie eine Biographie über Hannah Arendt (in der Reihe “Little People, Big Dreams”, Insel-Verlag, 2020). Für die Charité Berlin hat sie 2021 eine Serie von Comic-Broschüren für Patient*innen gezeichnet. Seit 2018 unterrichtet sie an der Hochschule Wismar Illustration, seit 2019 als Vertretungsprofessorin für Illustration und Zeichnen.

Foto © Vera Drebusch
Künstler*in
Birgit Weyhe
*1969 in München, verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Ostafrika und studierte ab 2002 Illustration an der HAW Hamburg. Sie gehört zu den wichtigsten deutschsprachigen Comic-Künstlerinnen und arbeitet vielfach recherchebasiert. Ihr Buch „Madgermanes“ (Avant-Verlag, 2016) beschäftigt sich mit den Biografien von Menschen aus Mosambik, die als Vertragsarbeiter*innen in die DDR kamen. 2022 erschien „Rude Girl“, eine Auseinandersetzung über kulturelle Aneignung im Dialog mit der afroamerikanischen Germanistik-Professorin Priscilla Layne (ebenfalls Avant-Verlag). Zur Zeit arbeitet sie an einer Biografie über das Schicksal von Elisabeth Käsemann und Ellen Marx während der argentinischen Militärdiktatur. Birgit Weyhe wurde 2021 mit dem Lessing-Stipendium ausgezeichnet und 2022 als "Beste deutschsprachige Comic-Künstlerin“ mit dem Max und Moritz-Preis.

Foto © privat
Künstler*in
Anja Wicki
*1987 in Luzern/Schweiz, lebt und arbeitet als Comic-Zeichnerin und Illustratorin in Winterthur. Während des Studiums an der Hochschule Luzern – Design & Kunst gründete sie mit Luca Bartulovic und Andreas Kiener das „Ampel Magazin", dessen Mitherausgeberin sie bis heute ist. Ihre Graphic Novel „In Ordnung“ (Edition Moderne, 2022) erzählt in klaren Linien die Geschichte einer jungen Frau, deren Leben von einer unbenannten psychischen Krankheit bestimmt wird. Für ihr Werk wurde Anja Wicki mehrfach ausgezeichnet, zuletzt 2021 mit einem Atelierstipendium in Belgrad.

Foto © privat
Referent*in
Johannes Kretzschmar
* 1981 in Dresden, hat Informatik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena studiert. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter, zunächst am Institut für Informatik und Mathematik im Bereich Elektromobilität und Workflow-Management, seit 2020 am Institut für Angewandte Physik im Bereich Open Innovation. Dort beschäftigt er sich auch mit Augmented Reality Comics, die eine direkte Verbindung zwischen realer Wissenschaft und Erklärebene schaffen. Freiberuflich ist er Illustrator, Comic-Zeichner, Animator und betreibt den Comic Blog Beetlebum.

Foto © Orla Connolly
Referent*in
Dr. Paul-Moritz Rabe
* 1984, studierte Geschichte, Germanistik und Erziehungswissenschaften an der LMU München. Er ist Historiker und Leiter der wissenschaftlichen Abteilung des NS-Dokumentationszentrums München sowie des Erinnerungsortes auf dem Gelände des ehemaligen NS-Zwangsarbeiterlagers Neuaubing.

Foto © privat
Expert*in
Dr. Véronique Sina
ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt, wo sie seit Herbst 2022 das Forschungsprojekt „Queering Jewishness – Jewish Queerness. Diskursive Inszenierungen von Geschlecht und ‚jüdischer Differenz‘ in (audio-)visuellen Medien“ leitet. Im Sommersemester 2022 hat sie die Professur für „Medienakteure und Medienöffentlichkeit unter besonderer Berücksichtigung von Gender“ am Institut für Medienwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum vertreten. Aktuell ist sie an der Siegener Forschungsstelle „Queery/ing Popular Culture“ sowie am SELMA STERN ZENTRUM für Jüdische Studien Berlin-Brandenburg assoziiert. Sie ist Initiatorin und Mitbegründerin der AG Comicforschung in der Gesellschaft für Medienwissenschaft und Co-Herausgeberin der interdisziplinären Publikationsreihe „Comicstudien” (de Gruyter).

Foto © Małgorzata Bogaczyk
Expert*in
Prof. Senta Connert
*1957, Bildende Künstlerin, Kunsttherapeutin, Professur für Kunsttherapie und Leitung Master-Studiengang Bildnerisches Gestalten und Therapie an der Akademie der Bildenden Künste München. Langjährige Tätigkeit in verschiedenen Hospizen und in der Palliativmedizin, aktuell in der Klinik für Radioonkologie und Strahlenmedizin am Klinikum Braunschweig. Ausstellungen u.a. im Haus der Kunst München, Kunsthalle Düsseldorf, Galerie M + R Fricke Berlin. Ihr Schwerpunkt ist die künstlerische Praxis, kunsttherapeutische Lehre, Selbsterfahrung und Methoden sowie Kunsttherapie in der Onkologie, Palliativmedizin und im hohen Alter.

Foto © Michael Witte
Expert*in
Alexandra Hamann
ist Verlegerin und Herausgeberin von wissenschaftlichen Sachcomics. Sie arbeitet interdisziplinär mit Illustrator*innen, Grafiker*innen, Comic-Zeichner*innen, Autor*innen und Wissenschaftler*innen zusammen. Dabei verwandelt sie als Wissenschaftskommunikatorin hochkomplexe Inhalte in visuelle Narrative. Der Fokus ihrer Arbeit liegt auf den Themen Ökologie, gesellschaftlicher Wandel, Naturwissenschaften und Medizin. Alexandra Hamann lebt in Düsseldorf.

Foto © Literaturhaus München
Moderator*in
Niels Beintker
*1975 in Halle/Saale, ist Redakteur in der Redaktion Kultur aktuell des Bayerischen Rundfunks und dort unter anderem für die Sendungen Kulturjournal und Diwan verantwortlich. Er lebt in München.

Foto © privat
Moderator*in
Jakob Hoffmann
*1964, Jugendbildungsreferent in Frankfurt a. M., Kurator von Comic-Ausstellungen und Comic-Veranstalter, Herausgeber (zuletzt „Nächstes Jahr in“ – Comics und Episoden des jüdischen Lebens, Ventil Verlag, 2021) und Leiter des Kindercomicfestivals Yippie!.

Foto © Nell Kilius
Moderator*in
Christine Knödler
*1967, ist freie Journalistin, Kritikerin und Moderatorin in München. 2020 erschien das erste Buch, das sie zusammen mit ihrem Sohn Benjamin Knödler geschrieben hat: „Young Rebels. 25 Jugendliche, die die Welt verändern!“ (Hanser). Seit Juli 2020 ist sie Host von „freigeistern! Der Podcast für Kinder- und Jugendliteratur“.
Rahmenprogramm
10.2.23, 11–17 Uhr, Masterclass Comiczeichnen mit Markus Färber
Literaturhaus
10.2.23, 12–18 Uhr, Masterclass Comiczeichnen mit Reinhard Kleist
Literaturhaus
12.2.23, 10–16 Uhr, Masterclass Comiczeichnen mit Birgit Weyhe
Literaturhaus
Jeweils 12 Teilnehmer:innen, Bewerbung für die Masterclasses an info@comic-in-bayern.de, bitte mit kurzer Bewerbung in 2-3 Sätzen über bisherige Zeichen-Erfahrung, bis zum 15. Januar 2023 /
bzw. bis zum 31. Januar 2023 für die Masterclass Reinhard Kleist.